Neuengland: Wo der Kennedy-Mythos lebt

In Neuengland liegen die Wurzeln der legendären Kennedy-Polit-Dynastie -- und dort wird John F. Kennedy bis heute verehrt. Eine Spurensuche zwischen Kitsch, Devotionalien und Melancholie.

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Da ist es, das Karteikärtchen, handbekritzelt und leicht vergilbt. “Ish bin ein Bearleener”, steht da, das “lee” zur korrekten Betonung unterstrichen: Worte, die Geschichte machten -- phonetisch notiert von US-Präsident John F. Kennedy für seine Rede am Rathaus Schöneberg im Juni 1963.

“Alles war minutiös inszeniert”, sagt Ann Gaffuri über das scheinbar spontane Berlin-Bekenntnis, das Kennedy natürlich persönlich geplant hatte: “Er war der perfekte Regisseur seiner eigenen Show.”

Gaffuri arbeitet für die John F. Kennedy Library, die den Nachlass des 35. US-Präsidenten archiviert und -- in bester Tradition des Namensgebers -- über sein Image herrscht. In dem modernen Bau am Bostoner Hafen führt sie mehr Besucher denn je durch eine Dauerausstellung, die Kennedys kurzen Zenit nachzeichnet, vom Wahlkampf 1960 bis zum Attentat kaum drei Jahre später.

Dokumente, Fotos, Filme, Memorabilia, Jackies Couture, der “Bearleener”: Die Reliquien dieser Ära ruhen im Herzen Neuenglands, zugleich die Wiege des Kennedy-Clans. Bis heute steht die Region im Bann dieser Dynastie -- von Boston, wo alles begann, über Hyannis, dem “Summer White House”, bis Newport, wo JFK und Jackie heirateten.

Hier lebt Kennedy weiter.

Skandale werden in der Ausstellung ausgeblendet

Wer war der Mann hinter dem Mythos? Eine Frage, die sich mit dem Medienrummel zum 50. Jahrestag seines Todes am Freitag erneut stellt. Obwohl Historiker den Politiker Kennedy längst realistischer werten, hält er sich in Umfragen als populärster aller modernen US-Präsidenten. Tom Putnam, der Direktor der Bostoner Library, erklärt sich die zeitlose Faszination fast ausschließlich mit dem schockierenden Finale: “Er starb so tragisch.”

Der Hype verlief in einem langen Prozess: Mit seinem Tod wurde Kennedy erst überhöht, dem folgte die kritische Gegenreaktion und schließlich, so Putnam, bleibe ein “ganz normaler Mensch mit Schwächen und Stärken” übrig.

In der Library ist dieser Mensch freilich zum Klischee erstarrt: der charismatische Wahlkämpfer, PR-gewiefte Präsident und schmerzgeplagte Dauerpatient, flankiert von Jackie, der scheuen Mode-Ikone. Skandale, Sexaffären und andere kritische Töne werden sorgfältig ausgeblendet.

Selbst das Attentat wird in der Dauerausstellung kaum dargestellt, dabei schuf es die Legende ja erst. An den 22. November 1963 erinnert ein dunkler Raum, in dem TV-Clips gezeigt werden: “Präsident Kennedy starb um 13 Uhr”, meldet CBS-Mann Walter Cronkite, den Tränen nahe. Nur am Jahrestag selbst wird es hier ein Gedenken geben, zum Auftakt einer Sonderausstellung über das Staatsbegräbnis.

“Wir wollen nicht, dass das Attentat als letzter Eindruck haften bleibt”, sagt Gaffuri. Weshalb sie ihre Gruppe schnell weitertreibt -- in den Souvenir-Shop voller Karten, Krimskrams und Kühlschrankmagneten.

Tour durch Boston: “Bestechung, Vetternwirtschaft, Intrigen”

David O’Donnell sucht die Antworten anderswo. Der Hobbyhistoriker und Touristenführer bietet seine ganz eigene JFK-Tour an -- wenige Kilometer nördlich in Downtown, wo die Wurzeln von Kennedys Ambitionen liegen.

“Er wollte immer nach Washington”, sagt O’Donnell vor der JFK-Statue vor dem historischen State House. Im Parlament von Massachusetts -- nicht weit von seiner Geburtsstätte im Vorort Brookline -- hielt Kennedy seine Abschiedsrede, bevor er als Präsident antrat: “Hier wurden meine Großeltern geboren, und hier, so hoffe ich, werden auch meine Enkel geboren werden.”

Sein früher Ehrgeiz wird oft übersehen. Er passt nicht ins selbstverfasste Märchen, als das Jackie ihre Zeit im Weißen Haus verklärte. Dagegen waren die Bostoner Jahre eine nicht immer charmante Geschichte, mit zwielichtigen, wenn nicht korrupten Gestalten, und einige trugen den Namen Kennedy.

“Bestechung, Vetternwirtschaft, Intrigen”, erzählt O’Donnell. Dann rasselt er Kennedys Stammbaum herunter -- bis zurück zum Urgroßvater, dem Farmer Patrick Kennedy, geboren in Irland und 1849 nach Boston ausgewandert.

Drei Generationen waren in der Lokalpolitik aktiv. Kennedys Großväter waren rivalisierende Parteibosse, der eine Abgeordneter, der andere Bürgermeister. Kennedys Vater Joe war zuletzt Botschafter in London. Das Geflecht war erstickend, der politische Druck gnadenlos.

O’Donnell führt durchs zugige Labyrinth Bostons, die Spuren Kennedys sind nicht zu übersehen. Hier das frühere Hotel Bellevue, wo er wohnte, als er 1946 erstmals für den Kongress kandidierte. Dort das Apartmenthaus 122 Bowdoin Street, wo ihm die Wohnung Nummer 36 gehörte. Und da das Parker House, Amerikas ältestes Luxushotel, in dem Ho Chi Minh als Bäcker jobbte und Malcolm X als Hilfskellner. Im Salon hielt JFK seine erste Rede -- im Alter von sieben Jahren.

Die Bar neben der Lobby ist voll und laut. An der Wand hängt ein Foto des jungen JFK. O’Donnell zeigt auf einen gedeckten leeren Tisch am Fenster: Tisch Nummer 40, an dem Kennedy 1953 um die Hand der 23-jährigen Jacqueline Bouvier anhielt.

 

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